Cannabis bei älteren Menschen: Chancen, Risiken & sichere Anwendung (2025)

Cannabis bei älteren Menschen: Chancen, Risiken & sichere Anwendung (2025)

Sep 12, 2025Gabor Daniel

Warum überhaupt Cannabis im höheren Lebensalter?

Typische Gründe sind chronische Schmerzen (z. B. neuropathisch/Arthrose), Schlafprobleme, Appetitmangel oder Spastik. Metaanalysen & Leitlinien zeigen: Der durchschnittliche Nutzen ist eher klein, kann aber bei ausgewählten Patient:innen klinisch relevant sein – insbesondere, wenn Standardoptionen unzureichend helfen oder schlecht vertragen werden. Das BMJ-Panel (2021) empfiehlt daher schwach eine probeweise Gabe nicht-inhalierter Cannabis-Arzneien zusätzlich zur Regeltherapie. 

Aktuelle Reviews (2023–2025) unterstreichen: Neuropathischer Schmerz profitiert am ehesten; für andere Schmerzformen ist die Evidenz begrenzt/heterogen. 

Schlaf: Verbesserungen sind möglich, aber im Durchschnitt klein und nicht zuverlässig – insbesondere bei älteren Patient:innen oft von Komorbiditäten abhängig (Schmerz, Angst). 


Spezielle Risiken bei Senior:innen

Ältere Menschen haben öfter Multimorbidität und Polypharmazie – sie reagieren stärker auf THC (Sedierung, Verwirrtheit), was Stürze begünstigen kann. Beobachtungen/Studien zeigen erhöhtes Fall-/Gangrisiko bei älteren Cannabis-Nutzer:innen; Vorsicht v. a. bei Start/Steigerung. 

Kardiovaskulär: Regelmäßiger Konsum ist mit höherem Risiko für Herzinfarkt/Schlaganfall/Herzinsuffizienz assoziiert; Risiko steigt mit Konsumhäufigkeit. Bei kardialen Vorerkrankungen besonders zurückhaltend sein, Inhalate kritisch prüfen. 

Kognition/Neuropsychiatrisch: Ältere sind anfälliger für kognitive Beeinträchtigung, Delir, Angst, v. a. bei hohen THC-Dosen. Daten zeigen zudem CUD-Risiko (Cannabis Use Disorder) – daher Screening & Aufklärung. 


Wechselwirkungen (sehr wichtig!)

Cannabinoide beeinflussen CYP-Enzyme (CYP2C19, CYP3A4 u. a.). Dokumentierte Interaktionen u. a. mit:

  • Clobazam (Erhöhung aktiver Metaboliten)

  • Warfarin/DOAKs (erhöhte Blutungsgefahr → INR/Blutungszeichen überwachen)

  • Tacrolimus (Spiegelanstieg)

  • diverse Antiepileptika

Therapien planen → Interaktions-Check & Laborkontrollen einbauen. 


Anwendung & Dosierung („Start low, go slow“)

Grundprinzipien

  • Niedrig beginnen, langsam steigern; erst nachts testen (Sedierung).

  • Ein Therapieziel definieren (Schmerz ↓ x %, Schlaf +x h) und Zeitfenster (z. B. 4–8 Wo.) festlegen; nur bei Nutzen fortführen.

  • Rauchen vermeiden; nicht-inhalierte Formen bevorzugen, Verdampfen ggf. als weniger schädliche Inhalations-Alternative (siehe unten). 

Beispiel-Schemata (orientierend, immer ärztlich!)

  • THC (nicht-inhalativ): 1–2,5 mg abends; Steigerung um 1–2,5 mg alle 3–7 Tage bis Wirkung/Nebenwirkung.

  • CBD (nicht-inhalativ): 5–10 mg 1–2×/Tag; Steigerung schrittweise (v. a. bei Angst/Schlaf, Interaktionen beachten).

  • Kombination: CBD tagsüber, niedriges THC abends (z. B. 1–2,5 mg), vorsichtig titrieren.

  • Inhalativ (Verdampfer): 1–2 Züge, 15 Min. warten, nur bei Bedarf wiederholen; Temperatur moderat (ca. 180–195 °C) für sanften Start.
    Praktische geriatrische Dosierempfehlungen (Toolkit) betonen das langsame, kleinschrittige Vorgehen. 

Hinweis: Edibles wirken verzögert (30–90 Min., Peak später) und länger; Überdosierungen passieren hier häufiger. Für Erstnutzer:innen ungeeignet.


Anwendungsformen: Was passt zu älteren Menschen?

  • Orale Tropfen/Sprays/Kapseln: langsamer Wirkungseintritt, dafür länger anhaltend; bevorzugt beim Basis-Schmerz, Schlaf. (BMJ-Empfehlung bezieht sich explizit auf nicht-inhalierte Formen.)

  • Verdampfen (Vaporizer): keine Verbrennung, geringere Emissionen im Vergleich zum Rauchen; schneller Wirkungseintritt – nützlich bei Durchbruchschmerz/Übelkeit. Trotzdem kardio-/pulmonale Risiken beachten. Rauchen ist zu vermeiden. 


Sicherheits-Checkliste für die Praxis

  1. Vorerkrankungen prüfen: kardial, psychiatrisch, kognitiv, Sturz-/Gangunsicherheit. 

  2. Medikations-Review: Antikoagulanzien, Antiepileptika, Immunsuppressiva → Interaktions-Monitoring. 

  3. Therapieziel & Abbruchkriterien definieren (z. B. < 30 % Schmerzreduktion nach 8 Wo. → Absetzen). 

  4. Fall-/Sturzprävention: Sitzend beginnen, nachts testen, Hilfsmittel nutzen, langsame Positionswechsel. 

  5. Fahrtüchtigkeit: Kein Führen von Fahrzeugen unter Wirkung/bei Dosiseskalation.

  6. Follow-up: zu Beginn wöchentlich/14-tägig, später alle 1–3 Monate.


Rechtlicher Schnellüberblick (Deutschland, 2025)

  • Medizinisch: Cannabis (Blüten, Extrakte, THC-Fertigarzneien) ist verordnungsfähig; seit 2017 grundsätzlich erstattungsfähig (mit Voraussetzungen). CanG/MedCanG 2024/25 haben Rechtsrahmen neu geordnet (Cannabis aus BtMG entlassen; gesonderte Regeln für Medizin vs. Freizeit/Anbau). Details/FAQ beim BMG. 

  • Wichtig: Dieser Artikel ersetzt keine individuelle ärztliche Beratung.


Kernaussagen in 30 Sekunden

  • Einsatzgebiete mit teils moderater Evidenz: chronischer Schmerz (v. a. neuropathisch), Schlafstörungen – Nutzen meist klein bis moderat, individuell sehr unterschiedlich. Ein BMJ-Leitfaden empfiehlt schwach einen zeitlich befristeten Versuch nicht-inhalierter Präparate zusätzlich zur Regeltherapie. 

  • Ältere sind vulnerabler: mehr Nebenwirkungen (Schwindel, Verwirrtheit), Sturz-/Fallrisiko, kardiovaskuläre Ereignisse – daher besonders vorsichtig dosieren und eng begleiten. 

  • Rauchen vermeiden. Verdampfen kann im Vergleich zum Rauchen Emissionen/Schadstoffe reduzieren (Harm Reduction), ist aber bei kardio-/pulmonalen Risiken mit Vorsicht zu bewerten. 

  • Interaktionen: v. a. CBD/THC mit CYP-Substraten (z. B. Clobazam, Warfarin, Tacrolimus, bestimmte Antiepileptika) – Monitoring (z. B. INR) einplanen. 

  • Deutschland (2025): Medizinisches Cannabis bleibt verordnungsfähig (Blüten, Extrakte, THC-Fertigarzneien) – CanG/MedCanG haben das Umfeld reformiert; Freizeit-CanG regelt Besitz/Anbau, nicht die Therapie.

Häufige Fragen (FAQ)

Hilft Cannabis zuverlässig bei Schmerzen im Alter?
Bei manchen – ja, v. a. bei neuropathischem Schmerz. Im Durchschnitt sind Effekte klein; deshalb als befristeten Zusatz-Versuch zur Standardtherapie erwägen. 

Ist Verdampfen „gesund“?
Verdampfen kann Emissionen/Schadstoffe ggü. Rauchen reduzieren (Harm Reduction), ist aber keine Gesundheitsgarantie, v. a. bei Herz-/Lungenerkrankungen. 

Wie beginne ich die Dosierung?
Start low, go slow“ – z. B. THC 1–2,5 mg abends, langsam steigern; CBD 5–10 mg 1–2×/Tag. Inhalativ: 1–2 Züge, 15 Min. warten. Immer ärztlich begleiten. 

Welche Wechselwirkungen sind kritisch?
Clobazam, Warfarin, Tacrolimus, diverse Antiepileptika (CYP-abhängig). Labore/Spiegel überwachen. 

Erhöht Cannabis mein Sturzrisiko?
Kann passieren – v. a. zu Therapiebeginn/bei Dosissteigerung (Schwindel, Blutdruckabfall, Sedierung). Maßnahmen zur Sturzprävention beachten.

Schlusswort

Für Senior:innen kann Cannabis eine Option sein – nicht die Lösung für alle. Der Schlüssel ist eine individuelle, vorsichtige Anwendung mit klaren Zielen, engem Monitoring und ehrlicher Nutzen-/Risikoabwägung. Rauchen vermeiden, Interaktionen prüfen, Sturzprävention ernst nehmen – dann kann ein zeitlich begrenzter Therapieversuch sinnvoll sein.



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