Warum überhaupt Cannabis im höheren Lebensalter?
Typische Gründe sind chronische Schmerzen (z. B. neuropathisch/Arthrose), Schlafprobleme, Appetitmangel oder Spastik. Metaanalysen & Leitlinien zeigen: Der durchschnittliche Nutzen ist eher klein, kann aber bei ausgewählten Patient:innen klinisch relevant sein – insbesondere, wenn Standardoptionen unzureichend helfen oder schlecht vertragen werden. Das BMJ-Panel (2021) empfiehlt daher schwach eine probeweise Gabe nicht-inhalierter Cannabis-Arzneien zusätzlich zur Regeltherapie.
Aktuelle Reviews (2023–2025) unterstreichen: Neuropathischer Schmerz profitiert am ehesten; für andere Schmerzformen ist die Evidenz begrenzt/heterogen.
Schlaf: Verbesserungen sind möglich, aber im Durchschnitt klein und nicht zuverlässig – insbesondere bei älteren Patient:innen oft von Komorbiditäten abhängig (Schmerz, Angst).
Spezielle Risiken bei Senior:innen
Ältere Menschen haben öfter Multimorbidität und Polypharmazie – sie reagieren stärker auf THC (Sedierung, Verwirrtheit), was Stürze begünstigen kann. Beobachtungen/Studien zeigen erhöhtes Fall-/Gangrisiko bei älteren Cannabis-Nutzer:innen; Vorsicht v. a. bei Start/Steigerung.
Kardiovaskulär: Regelmäßiger Konsum ist mit höherem Risiko für Herzinfarkt/Schlaganfall/Herzinsuffizienz assoziiert; Risiko steigt mit Konsumhäufigkeit. Bei kardialen Vorerkrankungen besonders zurückhaltend sein, Inhalate kritisch prüfen.
Kognition/Neuropsychiatrisch: Ältere sind anfälliger für kognitive Beeinträchtigung, Delir, Angst, v. a. bei hohen THC-Dosen. Daten zeigen zudem CUD-Risiko (Cannabis Use Disorder) – daher Screening & Aufklärung.
Wechselwirkungen (sehr wichtig!)
Cannabinoide beeinflussen CYP-Enzyme (CYP2C19, CYP3A4 u. a.). Dokumentierte Interaktionen u. a. mit:
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Clobazam (Erhöhung aktiver Metaboliten)
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Warfarin/DOAKs (erhöhte Blutungsgefahr → INR/Blutungszeichen überwachen)
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Tacrolimus (Spiegelanstieg)
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diverse Antiepileptika
Therapien planen → Interaktions-Check & Laborkontrollen einbauen.
Anwendung & Dosierung („Start low, go slow“)
Grundprinzipien
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Niedrig beginnen, langsam steigern; erst nachts testen (Sedierung).
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Ein Therapieziel definieren (Schmerz ↓ x %, Schlaf +x h) und Zeitfenster (z. B. 4–8 Wo.) festlegen; nur bei Nutzen fortführen.
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Rauchen vermeiden; nicht-inhalierte Formen bevorzugen, Verdampfen ggf. als weniger schädliche Inhalations-Alternative (siehe unten).
Beispiel-Schemata (orientierend, immer ärztlich!)
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THC (nicht-inhalativ): 1–2,5 mg abends; Steigerung um 1–2,5 mg alle 3–7 Tage bis Wirkung/Nebenwirkung.
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CBD (nicht-inhalativ): 5–10 mg 1–2×/Tag; Steigerung schrittweise (v. a. bei Angst/Schlaf, Interaktionen beachten).
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Kombination: CBD tagsüber, niedriges THC abends (z. B. 1–2,5 mg), vorsichtig titrieren.
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Inhalativ (Verdampfer): 1–2 Züge, 15 Min. warten, nur bei Bedarf wiederholen; Temperatur moderat (ca. 180–195 °C) für sanften Start.
Praktische geriatrische Dosierempfehlungen (Toolkit) betonen das langsame, kleinschrittige Vorgehen.
Hinweis: Edibles wirken verzögert (30–90 Min., Peak später) und länger; Überdosierungen passieren hier häufiger. Für Erstnutzer:innen ungeeignet.
Anwendungsformen: Was passt zu älteren Menschen?
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Orale Tropfen/Sprays/Kapseln: langsamer Wirkungseintritt, dafür länger anhaltend; bevorzugt beim Basis-Schmerz, Schlaf. (BMJ-Empfehlung bezieht sich explizit auf nicht-inhalierte Formen.)
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Verdampfen (Vaporizer): keine Verbrennung, geringere Emissionen im Vergleich zum Rauchen; schneller Wirkungseintritt – nützlich bei Durchbruchschmerz/Übelkeit. Trotzdem kardio-/pulmonale Risiken beachten. Rauchen ist zu vermeiden.
Sicherheits-Checkliste für die Praxis
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Vorerkrankungen prüfen: kardial, psychiatrisch, kognitiv, Sturz-/Gangunsicherheit.
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Medikations-Review: Antikoagulanzien, Antiepileptika, Immunsuppressiva → Interaktions-Monitoring.
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Therapieziel & Abbruchkriterien definieren (z. B. < 30 % Schmerzreduktion nach 8 Wo. → Absetzen).
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Fall-/Sturzprävention: Sitzend beginnen, nachts testen, Hilfsmittel nutzen, langsame Positionswechsel.
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Fahrtüchtigkeit: Kein Führen von Fahrzeugen unter Wirkung/bei Dosiseskalation.
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Follow-up: zu Beginn wöchentlich/14-tägig, später alle 1–3 Monate.
Rechtlicher Schnellüberblick (Deutschland, 2025)
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Medizinisch: Cannabis (Blüten, Extrakte, THC-Fertigarzneien) ist verordnungsfähig; seit 2017 grundsätzlich erstattungsfähig (mit Voraussetzungen). CanG/MedCanG 2024/25 haben Rechtsrahmen neu geordnet (Cannabis aus BtMG entlassen; gesonderte Regeln für Medizin vs. Freizeit/Anbau). Details/FAQ beim BMG.
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Wichtig: Dieser Artikel ersetzt keine individuelle ärztliche Beratung.
Kernaussagen in 30 Sekunden
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Einsatzgebiete mit teils moderater Evidenz: chronischer Schmerz (v. a. neuropathisch), Schlafstörungen – Nutzen meist klein bis moderat, individuell sehr unterschiedlich. Ein BMJ-Leitfaden empfiehlt schwach einen zeitlich befristeten Versuch nicht-inhalierter Präparate zusätzlich zur Regeltherapie.
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Ältere sind vulnerabler: mehr Nebenwirkungen (Schwindel, Verwirrtheit), Sturz-/Fallrisiko, kardiovaskuläre Ereignisse – daher besonders vorsichtig dosieren und eng begleiten.
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Rauchen vermeiden. Verdampfen kann im Vergleich zum Rauchen Emissionen/Schadstoffe reduzieren (Harm Reduction), ist aber bei kardio-/pulmonalen Risiken mit Vorsicht zu bewerten.
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Interaktionen: v. a. CBD/THC mit CYP-Substraten (z. B. Clobazam, Warfarin, Tacrolimus, bestimmte Antiepileptika) – Monitoring (z. B. INR) einplanen.
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Deutschland (2025): Medizinisches Cannabis bleibt verordnungsfähig (Blüten, Extrakte, THC-Fertigarzneien) – CanG/MedCanG haben das Umfeld reformiert; Freizeit-CanG regelt Besitz/Anbau, nicht die Therapie.
Häufige Fragen (FAQ)
Hilft Cannabis zuverlässig bei Schmerzen im Alter?
Bei manchen – ja, v. a. bei neuropathischem Schmerz. Im Durchschnitt sind Effekte klein; deshalb als befristeten Zusatz-Versuch zur Standardtherapie erwägen.
Ist Verdampfen „gesund“?
Verdampfen kann Emissionen/Schadstoffe ggü. Rauchen reduzieren (Harm Reduction), ist aber keine Gesundheitsgarantie, v. a. bei Herz-/Lungenerkrankungen.
Wie beginne ich die Dosierung?
„Start low, go slow“ – z. B. THC 1–2,5 mg abends, langsam steigern; CBD 5–10 mg 1–2×/Tag. Inhalativ: 1–2 Züge, 15 Min. warten. Immer ärztlich begleiten.
Welche Wechselwirkungen sind kritisch?
Clobazam, Warfarin, Tacrolimus, diverse Antiepileptika (CYP-abhängig). Labore/Spiegel überwachen.
Erhöht Cannabis mein Sturzrisiko?
Kann passieren – v. a. zu Therapiebeginn/bei Dosissteigerung (Schwindel, Blutdruckabfall, Sedierung). Maßnahmen zur Sturzprävention beachten.
Schlusswort
Für Senior:innen kann Cannabis eine Option sein – nicht die Lösung für alle. Der Schlüssel ist eine individuelle, vorsichtige Anwendung mit klaren Zielen, engem Monitoring und ehrlicher Nutzen-/Risikoabwägung. Rauchen vermeiden, Interaktionen prüfen, Sturzprävention ernst nehmen – dann kann ein zeitlich begrenzter Therapieversuch sinnvoll sein.